15.04.2022
Im Rahmen seiner IntCDC Gastprofessorenschaft lud Martin Tamke am 08.04.2022 Vertreterinnen und Vertreter der gesamten Wertschöpfungskette vom Wald bis zum Produkt ein, um in dem halbtägigen Workshop „Tree to Product“ die Vernetzung zwischen den Bereichen Digitalisierung der Forstwirtschaft in Baden-Württemberg mit Forschung und Design auf dem Gebiet der computergestützten Architektur zu fördern.
Rund 30 Vertreterinnen und Vertreter aus der Holzbauforschung am Exzellenzcluster IntCDC in Stuttgart, dem Centre for Information Technology and Architecture (CITA), Royal Danish Academy, Kopenhagen, dem Institut für Mechanik der Werkstoffe und Strukturen an der TU Wien, der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) sowie dem Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR) versammelten sich an der Universität Stuttgart, um über die Ressourcen- und Datenflüsse in der Forst- und Baubranche zu diskutieren. Dabei ging es um die Frage, wie eine mögliche Verknüpfung dieser Flüsse Designer*innen und Verarbeiter*innen die Möglichkeit bieten könnte, Produkte, Prozesse und Dienstleistungen im Hinblick auf Nachhaltigkeit, Verantwortlichkeit, Klarheit und Effizienz zu schaffen oder zu verbessern.
Unter den Teilnehmenden waren auch zahlreiche Forschende des Early Career and Education Programms des IntCDC, die die Gelegenheit nutzten, Karrierewege in Dänemark kennenzulernen. Das Early Career Programm des IntCDC unterstützt junge Forschende beim Aufbau eines interdisziplinären und internationalen Netzwerks um ihre Forschungs- und Karriereziele zu erreichen.
Mit einem Überblick über die aktuelle Lage im Holzbau und dessen Chancen und Möglichkeiten, eröffnete Martin Tamke, Centre for Information Technology and Architecture (CITA), Royal Danish Academy, Kopenhagen, den Workshop: Um eine Kreislaufwirtschaft im Bausektor zu verwirklichen, brauchen wir einerseits neue Materialien wie Flachs und Holz, andererseits müssen wir die qualitativ hohen Anforderungen an diese Materialien überdenken, da ansonsten viel Material als Abfall aussortiert werden kann. Neben den traditionellen Bauweisen mit Holz eröffnen neue Materialien wie BSP/CLT vielfältige Möglichkeiten in der Architektur.
Dennoch wird Holz den heute herkömmlichen Baustoff Beton nicht einfach ersetzen können. Allein das Downgrading des Holzes durch das Einsortieren in standardisierte Festigkeitsklassen verursacht viel Abfall und hindert die massenhafte Nutzung des Materials.
So ergeben Berechnungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses, vom Baum bis zum Endprodukt, dass rund 85% des Baumstammes als Abfall keine weitere Verwendung finden.
Weitere Probleme ergeben sich durch die steigende Nutzung des Holzes durch andere Industrien. Und neben dem steigenden Bedarf an Holz unterliegt der Wald selbst einem Wandel: aufgrund schnellerer Erntezyklen wird der Wald jünger, damit speichert er weniger CO2. Außerdem birgt die Nutzung des Waldes als Lebens- und Kulturraum für Tiere, Pflanzen und Menschen ein gewisses Konfliktpotential.
Interessant ist, dass die Bauindustrie im Verhältnis zu anderen Industrien wenig Holz nutzt – in Dänemark wie in Baden-Württemberg – und damit lokale Holzbauinitiativen, wie z.B. die Holzbau-Offensive Baden-Württemberg, zur Förderung des Holzbaus hervorbringt.
In deren Arbeit bildet die Frage nach der digitalen Wertschöpfungskette einen wichtigen Aspekt: Der Baum sollte nicht nur mit einem klassifizierten Holzprodukt, sondern bis hin zum Endprodukt verknüpft werden. In einem idealen Prozess würde man von diesem Endprodukt ausgehend, die Wertschöpfungskette zurück bis in den Wald hinein planen können um Holz effizienter und materialgerechter einzusetzen zu können. Ideen zur Umsetzung dieses Prozesses wurden bei dem Workshop diskutiert.
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In seinem Vortrag “Trees and Timber: The Forest Product Sector and Timber Construction Initiative” gab Jan Bulmer, Ministerium für Ländlichen Raumund Verbraucherschutz Baden-Württemberg, einen Einblick in die Geschichte der Forstwirtschaft und damit auch in unsere emotionale Bindung an den Wald, die bestimmend für unseren Umgang mit dem Wald heut ist.
Die Schlacht im Teutoburger Wald im 9. Jahrhundert n. Ch. steht oft Pate für das Sinnbild des deutschen Waldes: Der römische Dichter Tacitus beschreibt ihn als einen dunklen und unheimlichen Ort, dessen Undurchsichtigkeit die verheerende Niederlage der römischen Truppen gegen die Germanen erklären soll. Später taucht der Wald als feste Größe in den Märchen der Gebrüder Grimm auf. Hier wird das Sinnbild des Waldes für das Ungewisse verfestigt.
Mit der Epoche der Romantik wird der Wald schließlich in Liedern und Gedichten zu einem Sehnsuchtsort verklärt, er wird zum Symbol von Naturverbundenheit in einer Zeit der aufkommenden Industrialisierung. Vielleicht erklärt diese lange Rezeptionsgeschichte des Waldes die heutigen emotionalen politischen Debatten und die Frage nach dem richtigen Umgang mit dem Wald.
Doch auch die wissenschaftliche Betrachtung und die wirtschaftliche Nutzung des Waldes haben eine lange Tradition in Deutschland: Bereits im Mittelalter wurde Waldwirtschaft so intensiv betrieben, sodass das Holz drohte auszugehen. Carl von Carlowitz prägte 1713 den Begriff der Nachhaltigkeit, als er in seinem Werk Sylvicultura Oeconomica empfahl, dem Wald nicht mehr Holz zu entnehmen, als nachwachsen könne, um damit die Bestände zu sichern.
Daraus leitete sich zunächst der pragmatische Ansatz ab, den Wald wie ein Schachbrett zu bewirtschaften: die Flächen wurden mit Monokulturen bepflanzt, da sie so einfacher zu bewirtschaften waren. Doch mit der Zeit stellte sich heraus, dass diese Monokulturen weniger widerstandsfähig waren als Mischwälder. Der Klimawandel tat sein Übriges dazu und so stehen wir heute vor einem Waldumbau, der Mischwälder mit resistenten Arten und vermehrt Laubholz verlangt, um weiterhin den Wald als Biosphäre, Kulturraum und nachhaltig bewirtschaftete Fläche im Sinne einer Kreislaufwirtschaft nutzen zu können.
Mit der Vorstellung der beiden Projekte HoBeOpt und DigGeBaSt gab Udo Sauter, FVA Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg, einen Einblick in die Forschungsarbeit der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA).
Im Projekt HoBeOpt wird untersucht, wie man ganze Baumstämme mittels CT Scan erfassen und die Daten für einen geometrisch optimierten Zuschnitt verarbeiten kann. Auf diese Weise kann das Material effizienter genutzt werden, da die Zuschnitte an die naturgegebene Form des Baumes angepasst werden können.
DigGeBaSt fördert die Zusammenarbeit der einzelnen Sektoren untereinander, von der Holzernte bis zum Sägewerk: Das Holz soll entlang dieser Kette nach- und zurückverfolgt werden können. Dies geschieht mithilfe digitaler Fingerabdrücke des Holzes und eines umfangreichen Datenmanagementsystems. Die neu entwickelte Technologie wird bei diesem Projekt unter realen Bedingungen erprobt. Neben ökonomischen Zielen sollen insbesondere die Nachhaltigkeitsziele der UN verfolgt werden.
Tom Svilans berichtete über den digitalen Workflow vom Forst bis zur Holzbaukonstruktion. Als Assistant Professor am CITA erforscht er im Rahmen des Projekts RawLam Die Kette vom digitalen Scannen des Waldes, über die Baumernte, den Transport, den CT Scan für die optimierte Sägerei bis hin zum individuellen Design des Bauwerks.
Im letzten Schritt befasst er sich mit einer heterogenen Materialwahl, die es erlaubt, materialeffizienter zu arbeiten. So können Bauteile minderer Qualität an weniger beanspruchten Stellen im Bauwerk eingesetzt werden, nur in höher beanspruchten Bereichen, beispielweise in Holzverbindungen oder Stellen innerhalb des Querschnitts, kommt hochwertigeres Material zum Einsatz.
Um computergestützte mechanische Modellierung von Holz und Holzwerkstoffen ging es im Vortrag von Markus Lukacevic, stellvertretender Forschungsbereichsleiter am Institut für Mechanik der Werkstoffe und Strukturen der TU Wien.
Dabei werden die mechanischen Eigenschaften des Materials sowie die Aststrukturen mittels Micro CT Scann untersucht und als virtuelle Astgruppen in einem 3D Finite Elemente Modell simuliert. Aus den Daten lassen sich unterschiedliche Steifigkeits- und Festigkeitsprofile für das Material ableiten, z.B. ein Profil für die Biegesteifigkeit. Unter Berücksichtigung der Äste lassen sich so effektive Festigkeiten für verschiedene Abschnitte innerhalb eines BSH Trägers ermitteln.
Für die meisten Anwendungsfälle sind die hygroskopischen Eigenschaften des Holzes unerwünscht, das Team um Laura Kiesewetter vom Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung an der Universität Stuttgart, nutzt jedoch diese Eigenschaft, um selbstformende Holzbauteile herzustellen.
Um Holz auf dem klassischen Weg zu formen, werden aufwendige Pressen benötigt. Diese sind nicht nur schwer und schlecht zu transportieren, sondern auf nur einen Anwendungsfall ausgelegt. Daher sind die meisten geformten Holzbauteile vorgefertigt und werden für den Aufbau vor Ort einzeln geliefert: Der Endanwender muss zum Beispiel einen Stuhl selbst zusammenbauen. Mit HygroShape wird der Aufbau von Möbeln überflüssig: Die Stühle kommen als flache Pakete zuhause an, erst nach dem Öffnen der Verpackung beginnt sich das Holz durch die veränderten Umgebungsbedingungen zu verformen. Das geringe Volumen des Pakets spart beim Transport CO2 ein.
Bei der Materialprogrammierung spielen Parameter wie die Holzart, der Feuchtegehalt und die Anordnung der Schichten sowie der Zuschnittstyp eine Rolle.
Neben den Möbeln gibt es aber auch ein architektonisches Bauwerk: Der Urbachturm ist im gleichen Verfahren hergestellt worden. Die Forschungsarbeit im Bereich will das Team fortsetzen und bald eine größere Variante des Turms bauen. Darüber hinaus sind weitere Bauteile wie Dachkonstruktionen oder aussteifende Wände angedacht.
Ein wichtiger Forschungsaspekt ist künftig die Integration von KI in den Designprozess, um die Verformung noch individueller berechnen zu können.
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